Kein Frieden, keine Demokratie ohne Beteiligung der Frauen
oder “KRIEG IN AFGHANISTAN und das instrumentalisierte Elend”

“Bombardierung beenden- Zivilbevölkerung schützen- Frauen stärken!” so lautete der Beschluss des grünen Bundesfrauenrat, dem höchsten beschlussfassenden frauenpolitischen Gremium der Partei, verabschiedet am 14. Oktober in Berlin. Die Delegierten forderten darin die grünen Bundestagsabgeordneten auf, ihre Haltung zur aktuellen amerikanischen Kriegsführung zu überprüfen. Damit richtete der Frauenrat den Blick auf die Situation und Rolle der Frauen und kritisiert die Fokussierung der Weltöffentlichkeit auf Männer und ihre militärischen und sicherheitspolitischen Strategien.

Sensible Weltöffentlichkeit.....

Als das Weltkulturerbe, die einzigartigen buddhistischen Kunstwerke in Afghanistan, in Gefahr waren, von den Taliban zerstört zu werden, schreckte die Weltöffentlichkeit auf. Es bildete sich eine einmütige Allianz gegen den “Kulturterrorismus”, während die offizielle Politik von den massiven jahrelangen Menschenrechtsverletzungen an Frauen durch das Taliban-Regime kaum Notiz nahm. Das hat sich jetzt geändert. Das katastrophale Elend von Frauen und Kindern ist nach Wochen des Krieges nun allerorten Thema, allerdings in der allbekannten Weise (vergleiche Kosovo und andere Kriege). Es ist ein Baustein zur Rechtfertigung des Bombardements, das sich als gegen Bin Ladens Terroristennetzwerk und die Taliban gerichtet ausgibt. Wir erleben in Wahrheit eine Instrumentalisierung dieses Elends zur Aufrechterhaltung eines militärischen Vorgehens, womit eben nicht islamistische Terroristen getroffen werden, sondern eine in 20 Kriegsjahren und durch Dürre drangsalierte Zivilbevölkerung. Das unvorstellbare Leiden steigert sich durch Bomben von oben, Hungertod und Erfrieren, Flüchtlingsströme von Hunderttausenden in Richtung geschlossener Grenzen über flächendeckend vermintes Gebiet. Die jetzige Kriegsführung unter dem Etikett von Terrorismusbekämpfung ist absurd und menschenverachtend, sie ist nicht die Lösung des Problems, sie ist ein Teil des Problems. Die Infrastruktur ist zerstört, die Terroristen können sich wohl noch in sichere Verstecke zurückziehen, die Schwachen aber sind ausgeliefert. Die Taliban haben zudem die UN-Nahrungsmittelvorräte beschlagnahmt. Indes hungert die einfache Bevölkerung, vor allem die Kriegswitwen und Kinder. Wie armselig ist im Übrigen das humanitäre Konzept der U.S. Luftwaffe, die gelbe Lebensmittelpakete für die hungernde Bevölkerung abwirft, die mit den ebenfalls gelben, aber dosen-ähnlich aussehenden und nicht explodierten Sprengkörpern aus Streubomben zu verwechseln sind. Alternativ oder zusätzlich können die Hungernden auf der Suche nach den mit US-Flagge verzierten Tagesrationen Gefahr laufen, von den unzähligen Landminen zerfetzt zu werden. Wie zynisch angesichts solcher Umstände von humanitären Maßnahmen zu reden, wie durchschaubar, dass das Ausmaß militärischer Gewalt durch dererlei nur verkleistert werden soll.

Die Chronik der Menschenrechtsverletzung

.....in Afghanistan reicht weiter zurück als die Scheckensherrschaft der Taliban. Die heutige von den Vereinigten Staaten unterstützte und aufgerüstete Nordallianz, bestehend aus den von 1992 bis 1996 regierenden Parteien, verdächtigte die Frauen als Kollaborateurinnen der sowjetischen Besatzungsmacht. Neben einer völligen Entrechtung wurden sie aus ihren Häusern vertrieben, massenhaft vergewaltigt und verfolgt. Als 1996 die (zuvor durch für die USA noch nützlichen und durch sie unterstützten) Taliban in vielen Landesteilen an die Macht kamen, vervielfachte sich die Unterdrückung der Frauen: sie erlebten einer Form der Geschlechterapartheid, die selbst in den fundamentalistischen islamischen Staaten ihresgleichen sucht. Arbeits- und Ausgehverbot, Verschleierungszwang, Verbot des Schulbesuchs, bei “unislamischem Verhalten” erfolgten drakonische Strafen: Prügel, Auspeitschung, Amputationen und Steinigungen. Frauen ohne Burka, die Ganzkörperverschleierung, werden erschossen, ohne Mann dürfen sich Frauen nicht mal bei den Lebensmittelhilfslieferungen anstellen. 

Starke Frauen- schwache Frauen?

Afghanistan war nicht schon immer von barbarischer hegemonialer Männlichkeit geprägt, wie wir es derzeit wahrnehmen. Jahrzehntelangen unterdrückerischen Regierungen zum Trotz waren und sind die afghanischen Frauen nicht nur Opfer, ohne eigene Stimme. Sie spielten vor mehr als 30 Jahren sogar eine wichtige Rolle im öffentlichen und politischen Leben. 

In den 60er Jahren ermöglichte eine am französischen Recht orientierte Verfassung freie Wahlen und in der Folge wurden vier Ministerien von Frauen besetzt. 40 % der Ärzteschaft in Kabul waren Frauen, sie stellten 50 % der zivilen Regierungsangestellten und 70 % des Lehrpersonals. Aus einer Studentenbewegung im Jahr 1968 ging 1977 die bekannteste Frauenorganisation Afghanistans RAWA (Revolutionärer Verband der afghanischer Frauen) hervor. Die ihr angehörenden Frauen stammten vornehmlich aus der Gruppe der Intellektuellen und der Mittelschicht. Nach dem Einmarsch der Sowjets 1979 flüchteten viele der emanzipierten Frauen vor Verfolgung, Gefängnis und Mord ins Ausland, vornehmlich in die Grenzstädte Pakistans. Heute wird die Mitgliederzahl auf etwa 2000 geschätzt, RAWA besteht nun überwiegend aus Frauen aus Flüchtlingslagern. Die Organisation agiert vornehmlich im Untergrund, seit 24 Jahren sichert sie unter Lebensgefahr Bildung und Überleben von Frauen in Afghanistan und in den Exillagern. RAWA unterhält in Privatwohnungen Schulen für Jungen und Mädchen, mobile Krankenbehandlungsteams im Untergrund von Afghanistan und Pakistan, produziert Berichte über Gewalttaten der Taliban und anderer Fundamentalisten und informiert Menschenrechtsorganisationen. 

Die wesentlichen Forderungen im Beschluss des grünen Frauenrats vom 14.10.2001: 
Sofortige Einstellung des Bombardements, Stopp von Waffenlieferungen in die Region, Schaffung von Schutzkorridoren für die Zivilbevölkerung, Öffnung der Grenzen – auch in Europa – für Kriegsflüchtlinge, Förderung politischer Konfliktlösungskonzepte, die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten müssen die Frauenpolitik in der Außen- und Internationalen Politik verankern und Frauen bei der Hilfsgüterverteilung und Flüchtlingshilfe einbinden, Unterstützung von unabhängigen afghanischen Frauenorganisationen, z.B. der RAWA. Für unverzichtbar halten wir die Einbeziehung von (Exil-) Frauen und Frauenorganisationen in der zukünftigen afghanischen Gesellschaft. Die internationale Gemeinschaft wird aufgefordert, jede Unterstützung eines politischen Regimes an die Bedingungen der Umsetzung von Frauenrechten und weibliche Partizipation zu knüpfen.

(siehe Beschluss auch unter  http://www.gruene.de und über Infos über RAWA  http://www.rawa.org
Spendenadresse: Afghanisches Kultur- u. Kommunikationszentrum, Postbank, BLZ: 100 100 10, Kto: 0203 979 103, Kennwort RAWA)

Vereine, Parteien, Gewerkschaften, Schulen, Friedensnetzwerke vor Ort sollten bei ihren Informations- und Diskussionsveranstaltungen der Fachkompetenz von Vertreterinnen aus afghanischen Frauenorganisationen ein Forum und eine Stimme geben. 

Birgit Ebel
(Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Frauenpolitik, NRW-Delegierte im Bundesfrauenrat von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und aktiv im Bielefelder Friedensnetzwerk)

GRÜNE FRIEDENSZEITUNG